Gute Bücher

Fran Ross, Oreo
Dtv, geb., 22 €

»Niemand reizt mich ungestraft«, warnt die sechzehnjährige Christine alias Oreo.
Als Tochter einer schwarzen Mutter mit sehr heller Haut und eines jüdischen weißen Vaters mit dunklem Teint ist Oreo eine doppelte Außenseiterin. Der Vater machte sich schon früh aus dem Staub, zurück blieb ein Rätsel, das Oreo das Geheimnis ihrer Geburt enthüllen soll. Also auf nach New York: »Den find ich, den Motherfucker.« Dort trifft sie auf einen schwulen »Reisehenker«, der in großen Firmen Massenentlassungen vornimmt, einen stummen Produzenten von Werbespots und einen Zuhälter. Ohne Angst und Respekt stürzt sich Oreo kopfüber in die Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Klischees.

Das Buch ist eine Familiengeschichte der anderen Art: eine Ansammlung von sprachspielerisch und witzig erzählten Geschichten, Anekdoten, Rätseln, drastisch, frech und dreckig.
Und: Lustig!

1970 erschien es zum ersten Mal, war seiner Zeit voraus und wurde vergessen.
Entdecken Sie es!

 

Gabriele Tergit, Effingers
Schöffling Verlag, gb., 898 S., 28 €

“Famos, lebensfroh, optimistisch und tieftraurig – zwischen Fontane und Thomas Mann –
mal melancholisch, mal bitter, mal sarkastisch, aber nie lamentös und nicht anklagend…”
1951 erschienen ist dieses zum ersten Mal eine volltsändige Fassung.

‘Effingers’ ist ein Familienroman – eine Chronik der Familie Effinger über vier Generationen hinweg. Außer dass sie Juden sind, unterscheidet sich ihr Schicksal in nichts von dem anderer gutsituierter gebildeter Bürger im Berlin der Jahrhundertwende.
Alle fahren sie im sich immer wiederholenden Lebenskarussell, das sich durch Glück, Schmerz, Leichtsinn, Erfolg und Scheitern dreht.
Als der Nationalsozialismus sich breitmacht, wird das deutsche Schicksal zu einem jüdischen. Wer wachsam ist, wandert aus. Die Geschichte der Familie Effinger beginnt mit einem Brief des 17-jährigen Lehrlings Paul Effinger, und sie endet mit einem Brief: dem Abschiedsbrief des nunmehr 80-Jährigen kurz vor seiner Deportation in die Vernichtungslager.

 

Kathy Page, All unsere Jahre
Wagenbach Verlag, geb., 22 €

Mit zärtlichem und dennoch unerbittlichem Blick beschreibt Kathy Page das Zusammenspiel von Nähe und Distanz zwischen Evelyn und Harry – ein ganzes Liebesleben lang. Das Buch beginnt mit Harrys Geburt und endet mit dem Tod beider. 70 Jahre Liebe. Verlieben, 3 Kinder, Haus bauen, Alt werden.
Kathy Page hat für dieses Buch auch die Briefe ihrer Eltern verwendet. Schön ist die Nähe zur englischen Poesie, die immer wieder zitiert wird. Das Buch, nein das Thema schmerzt, das Buch ist anrührend, weil es dem eigenen Leben und Altern und dem der Eltern so nah ist – ohne Kitsch zu sein. Gutes Buch.

 

Cesar Aira,
Eine Episode im Leben des Reisemalers,
Der kleine buddhistische Mönch,
Der Beweis
Alle Matthes & Seitz, 14/16 €, geb.

Solche Bücher haben Sie noch nicht gelesen – ich jedenfalls nicht.
Eine irre Mischung aus Roman, Philosophie, Trash und ich weiß nicht was.
Der argentinische Autor hat Mut, Wut, ein großes Wissen und verrückte Ideen!
Nichts für schwache Nerven!

Reisemaler Rugendas widerfährt ganz schrecklich Schlimmes mitten im Gewitter auf der Sierra. Das  vergrößert aber seine Leidenschaft fürs Malen (Humboldt Zeit!) nur noch mehr. Viel Diskussion über Sehen und Malen, Landschaft und sich darin Bewegen. Die größte Leidenschaft: mitten in einem Indianerüberfall zu sein und diesen zu malen!
Es gab ja noch keine Fotographie!

Der kleine buddhistische Mönch thematisiert das Fotographieren eines buddhistischen Klosters in Korea, ufert aber in eine wahnsinnige, schiefgelaufene digitale Vision aus.
Sehr lustig!

Der Beweis: „Wollen wir ficken?“ – die beiden Punkerinnen wird die spazierengehende Marcia nicht mehr los. Die beiden versuchen Marcia von der nihilistischen Sicht aufs Leben zu überzeugen und stellen dafür eine ganze Menge an. Marcia will einen Beweis, dass ein Leben im Nihilismus für sie interessanter wäre, als ihre bescheidene Existenz.
Sie wird überzeugt, und wie!

 

 

Juan Pablo Villalobos, Ich verkauf dir einen Hund
Berenberg, gb., 24 €

Tolles Buch!
Wie viele Kakerlaken passen in einen Aufzug? Wie nützlich ist Adornos “Ästhetische Theorie” beim Abwimmeln von bekehrungseifrigen Mormonen? Lebt die Revolution? Und vor allem: Was steckt wirklich in einem Taco? Fragen über Fragen, die Juan Pablo Villalobos in seinem rasanten Seniorenroman aufs vergnüglichste beantwortet. Nabel der fiktiven Welt ist in diesem Fall ein Wohnhaus im Herzen von Mexico City, wo der ganz normale Wahnsinn der Stadt auf ein paar Etagen zusammenschnurrt. Während der hausinterne Literaturkreis auf dem Flur tagt – unter dem strengen Regiment der rüstigen Francesca – und Neuankömmlinge skeptisch-begeistert beäugt, entspinnt sich auf den oberen Stockwerken irgendetwas zwischen Liebes-, Künstler- und Kriminalgeschichte.
Ein großer Spaß, und das ganz ohne Rentner, die aus Fenstern steigen!

 


Isabel Bogdan, Laufen
Kiepenheuer&Witsch., gb., 199 S., 20 €

Isabel Bogdan überrascht mit einem Roman über eine Frau, die nach einem Schicksalsschlag um ihr Leben läuft. Eine Ich-Erzählerin wird nach einem erschütternden Verlust aus der Bahn geworfen und beginnt mit dem Laufen. Erst schafft sie nur kleine Strecken, doch nach und nach werden Laufen und Leben wieder selbstverständlicher. Konsequent im inneren Monolog geschrieben, zeigt dieser eindringliche Roman, was es heißt, an Leib und Seele zu gesunden. Isabel Bogdan, deren Roman »Der Pfau« ein großer Bestseller wurde, betritt mit diesem Buch neues Parkett. Eine Frau läuft. Schnell wird klar, dass es nicht nur um ein gesünderes oder gar leichteres Leben geht. Durch ihre Augen und ihre mäandernden Gedanken erfährt der Leser nach und nach, warum das Laufen ein existenzielles Bedürfnis für sie ist. Wie wird man mit einem Verlust fertig? Welche Rolle spielen Freunde und Familie? Welche Rolle spielt die Zeit? Und der Beruf? Schritt für Schritt erobert sich die Erzählerin die Souveränität über ihr Leben zurück. Isabel Bogdan beschreibt mit großem Einfühlungsvermögen und einem ganz anderen Ton den Weg einer Frau, die nach langer Zeit der Trauer wieder Mut fasst und ihren Lebenshunger und Humor zurückgewinnt.

 

Paulus Hochgatterer, Fliege fort, Fliege fort
Zsolnay, gb., 23 €

Der Sommer hält Einzug in Furth am See. Während sich die Hotelterrassen füllen und die Schüler auf ihre Zeugnisse warten, nehmen besorgniserregende Ereignisse ihren Anfang. Auf immer grausamere Weise werden Gewalttaten gegen ältere Menschen verübt. Die Opfer scheint nur eins zu verbinden – das Bestreben zu schweigen. Schließlich verschwindet auch noch ein Kind. Der Psychiater Raffael Horn und Kommissar Ludwig Kovacs beginnen die spärlichen Anhaltspunkte zu verknüpfen und in lang vergangene dunkle Geschichten einzutauchen. Guter Krimi mit intensiver Atmosphäre. Ohne schreckliche Gewaltschilderungen, dafür mit umso sympathischeren Figuren.

 

 

Arguedas, Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten
Wagenbach Verlag, kt., 25 €

Chimbote an der peruanischen Pazifikküste. Rasend hat sich die Stadt in den 60er Jahren vom Dorf zum Zentrum der Fischmehlindustrie entwickelt: ein Moloch aus Hafenkneipen, Bordellen und Slums, in denen ausgebeutete indigene Arbeiter aus den Bergen hausen. Das Großstadtleben und die gefährdete Natur beschreibt Arguedas in Bildern des Zerfalls: Möwen und Hunde streiten um Abfälle eines leergefischten Meers, im flackernden Stimmengewirr spricht jeder für sich allein. Krisenerfahrung und Zerfall greifen auch auf den Roman selbst über, Tagebuchnotizen des Autors unterbrechen die Handlung. In ihnen versucht Arguedas festzuhalten, was er liebt und was zu verschwinden droht: die Natur der Anden, deren Schönheit er funkelnde Miniaturen widmet, und die indigene Kultur Perus, verdrängt durch die kapitalistische Moderne. Arguedas ringt mit dem Roman, beobachtet seine eigene psychische Zerrüttung, hegt Suizidgedanken. Schreiben wird zur Überlebensstrategie – bis der Abschiedsbrief des Autors dem Text ein Ende setzt. Arguedas’ letztes Buch ist das bewegende Dokument dieses existenziellen Scheiterns und zugleich der große peruanische Roman des 20. Jahrhunderts. Die beispiellose hybride Sprache des Originals hat Matthias Strobel auf kongeniale Weise ins Deutsche übertragen.

 

 

Norbert Scheuer, Winterbienen
Beck, gb., 318 S., 22 €

Das erste Buch in dem in der Danksagung der buchLaden 46 vorkommt!

Immer, wenn ein neues Buch von Norbert Scheuer erscheint, scheint es das Beste zu sein.
krieg im Hürtgenwald. Winter 44/45. Kall, Eifel. Ein Lateinlehrer, Imker und Epileptiker ist die Hauptfigur. Arbeitslos wegen seiner Krankheit, noch nicht euthanasiert, wegen seines berühmten Bruders, der Kriegsflieger ist. Brummen im Hirn, Brummen im Bienenhaus und anschwellendes Brummen von alliierten Bombern. Um Geld für Medikamente zu haben schmuggelt Egidius Arimond Flüchtlinge über die belgische Grenze – in präparierten Bienenkörben.

Tolles Buch!

 

 



Anthony Burgess, Fürst der Phantome
KlettCotta, gb., 870 S., 29 €

Jahrelang habe ich dieses Buch für einen Fantasy Roman gehalten. Nichts da!

Großartiges Buch, das sich mit der Heimatlosigkeit eines Intellektuellen im 20. Jahrhundert beschäftigt. Es ist so etwas wie eine Bilanz von Burgess eigenem Leben. Ein reicher gewordener Schriftsteller und Lästermaul allererster Güte auf der Suche nach Sinn und Lust, konfrontiert mit den Herausforderungen durch seine jungen Liebhaber, seinen katholischen Schwager, der Pabst wird und immer wieder beschäftigt mit den Fragen nach Moral nach dem moralischen Zusammenbruch. Gott könnte auch böse sein, eine Erkenntnis, die so ganz nebenbei wächst. Viele schöne Sätze, tolle Anhimmelei von Kunstwerken und den schönen Dingen. Und jede Menge bekannte Menschen werden abgewatscht. Begeisternd seine scharfe Formulierungskunst.

Toller Schmöker zum Abtauchen für ein paar Tage!

 

 

George Simenon, Sonntag
Kampa, gb., 180 S., 19.90 €

Ich mochte nie Simenon lesen und seine Maigret Romane mag ich tatsächlich nicht.

Nachdem mir Freunde aber sagten, ich müsse zumindest diesen Non-Maigret lesen, habe cih bestimmt noch dreißig weitere gelesen. So richtig schön gemein. Und das in der Provence.

 


James Bridle, New Dark Age
Beck, gb., 320 S.,25 €

Das ist “Harari noir”! Düster und vor Intelligenz funkelnd,
manchmal schockierend und beängstigend.

Z.B. das Kapitel über Luftturbulenzen und Flugverkehr –
Sie werden nicht mehr fliegen wollen!
Haben Sie eine Vorstellung, wie irre viel Energie benötigt wird, damit Sein Video im Internet streamen können? Das wollen Sie nicht wissen!
Wissen Sie was die erfolgreichsten YouTube Videos sind und wie sie produziert werden und wer sie anschaut? Videos für kleinste Kinder, die von Maschinen hergestellt werden und auf einen Erwachsenen komplett schwachsinnig wirken. Diese gibt es hundertausendfach und ein Milliardenmarkt. Wissen Sie wie die Suchmaschine von Google Geld macht? Die Suchergebnisse auf Ihre Frage werden versteigert, die meistbietenden werden zuoberst gezeigt, in Bruchteilen von Sekunden. So viel zu fake news.

Neben der Diskussion solcher Beispiele zeigt der Autor, dass wir überhaupt noch keine Sprache dafür gefunden haben, uns mit diesen Phänomenen angemessen beschäftigen zu können und beschreibt was dafür nötig ist.

 

Heinsohn, Söhne und Weltmacht
Orell&Füssli, gb., 20 €, überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe

Ein Buch mit einer ungewöhnlichen These: nicht Religionen, Stammesfehden oder Armut sind die Hauptgründe für Terror und Krieg. Vielmehr erweisen sich der übergroße Anteil männlicher, perspektivloser Jugendlicher als wesentliche Ursache für Gewalt, Terror und Krieg. Waren es nach dem Mittelalter noch die sohnesreichen Regionen Europas, die Aggression und Welteroberung brachten, sind es heute die Gebiete des Islam, die mit einem explosiven Bevölkerungswachstum ein enormes Reservoir potentieller Kämpfer und Eroberer darstellen. »Söhne und Weltmacht« hat bei seiner Ersterscheinung 2003 für heftige Kontroversen gesorgt. Dies ist nun die von Gunnar Heinsohn erweiterte und aktualisierte Neufassung. Verblüffendes und anregendes Buch. Gute Ergänzung zu Theweleits „Männerphantasien“.

Klaus Theweleit, Männerphantasien
Matthes & Seitz, gb., 1278 S., 42 €
Warum werden Männer gewalttätig?
Am Beispiel von Autobiographien von rechtsradikalen Freikorps-Männern
untersucht Theweleit die inneren Prozesse, die es Männern möglich und nötig machen, auf bestialischste Weise gegen Frauen und gegen die “rote Flut” gewalttätig zu werden.
Das Buch ist der Beginn der “Männerforschung”, vor 40 Jahren zum ersten Mal erschinenen und DER Klassiker. Aber heute viel aktueller in seiner Bedeutung geworden.
Das Buch ist eines meiner größten Leseerlebnisse!

 

Manche Texte sind mit Hilfe der Verlagsankündigungen geschrieben.
Wir haben alle Bücher aber selber gelesen und diskutiert!
Empfehlungen mit ganzem Hirn und von Herzen!