Zustrombegrenzungsgesetz

Eine Erklärung von VerlegerInnen und SchriftstellerInnen

Menschen sind keine Naturkatastrophe

Der realen Barbarei geht die Barbarisierung der Sprache voraus

Eine Erklärung von Britta Egetemeier, (Verlegerin Penguin), Kerstin Gleba (Verlegerin Kiepenheuer & Witsch), Dörte Hansen (Autorin), Grusche Juncker, (Verlegerin Luchterhand), Jörg Bong (Autor, Verleger), Heinrich Detering (Philologe, Göttingen), Achim Geisenhanslüke (Philologe, Frankfurt), Karsten Kredel (Verleger Ullstein Buchverlage), Jo Lendle (Verleger Hanser), Helge Malchow (Senior Editor, Kiepenheuer & Witsch), Uwe Timm (Autor) und Oliver Vogel (Verleger Fischer)

 

„Zustrombegrenzungsgesetz“ nennt die Bundestagsfraktion der CDU ihre Gesetzesinitiative zur „Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen“, die sie am 31. Januar 2025 zur Abstimmung gebracht hat. Dass im Deutschen Bundestag ein Gesetzesantrag mit einer Metapher dieser Provenienz – gar als offizieller Titel des Antrags – von einer demokratischen Partei eingebracht wird, ist eine Premiere in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Metapher des „Stroms“ bzw. „Strömens“ und „Überströmens“ gehört nicht bloß historisch zum wesentlichen rhetorischen Repertoire des europäischen und deutschen Faschismus des 20. Jahrhunderts – insbesondere des Nationalsozialismus –, auch in der Gegenwart zählt sie zu den gebräuchlichsten demagogischen Instrumenten neofaschistischer, rassistischer und xenophober Bewegungen. Die AfD, der Rassemblement Nationale, die Fratelli d’Italia, die PiS-Partei, die Maga-Bewegung sowie andere ultrarechte Milieus verwenden „aquatisch-apokalyptische“ Metaphern für ihre inhumane Hetze gegen alles Fremde. Viktor Orbán gab die Metapher bereits 2015 als die wichtigste Kampflosung des neuen ultrarechten Geistes aus: Sicherheit für Leib und Gut ordentlicher Bürger gäbe es erst, „wenn die Flut aufgehalten worden ist“.

Evoziert werden Bilder von gewaltigen Strömen und Fluten, von Dammbrüchen, Überschwemmungen, Sturmfluten. Es geht um die Erzeugung von Gefühlen der Ohnmacht und Angst. Angst vor dem Hereinbrechen entfesselter Naturgewalten, die Zerstörung und Vernichtung bringen. Das sind die unbewussten oder vorbewussten Bedeutungen, Konnotationen und Affekte, mit denen die Metapher arbeitet. Alle kennen die Bilder: schreckliche Sturzregen und Unwetter verwandeln liebliche Bäche und Flüsse der Heimat in reißende Monster. Was erzeugt eine Flut jemals anderes als Schäden, Unrat und Leid? Was also – so die wirksame Suggestion der Metapher – erzeugen Ströme von Flüchtenden, die uns überfluten? Mehr noch: Die Migrantinnen und Migranten werden in der Metapher grundlegend entmenschlicht, sie selbst sind die Verheerung.

Die Sprache steuert, was und wie wir wahrnehmen und empfinden, Wilhelm von Humboldt fasste es in der Formel „Sprache ist Weltsicht“ zusammen. Der sprachlich-psychologisch-kognitive Mechanismus ist in seiner Wirkungskraft umfassend belegt.
Das Unbewusste gehört zu den mächtigsten Vorräumen des Politischen.
Der realen Barbarei geht die Barbarisierung der Sprache voraus. Zuerst wird das Sprechen über migrantische Menschen inhuman, dann die gesellschaftlich-staatliche Praxis. Auf diese Weise triumphiert die Strategie der Neuen Rechten, wie sie vor über einem Jahrzehnt in den Prinzipien der „Metapolitik“* formuliert wurde. Genau das war die Idee: Begriffe dieser Unart zu lancieren und mehrheitsfähig zu machen. Ist das einmal geschehen, wird die Wirklichkeit von den meisten Menschen auf diese Art wahrgenommen, lassen sich im nächsten Schritt von der Politik härteste „Not- und Abwehrmaßnahmen“ gegen die „Überflutung“ durchsetzen. „Metapolitik“ wie aus dem Lehrbuch.

Der Begriff „Zustrombegrenzungsgesetz“ selbst, alles, was er beinhaltet und bewirkt, befindet sich demokratisch gesehen jenseits der geistigen Brandmauer. Das ist der entscheidende Punkt. Die Sprache selbst stellt den ersten Tabubruch dar. Die Gedankenwelt der AfD offenbart den völkischen Nucleus der Metapher. Am Ende geht es um die „die Sicherung vor dem Zuströmen artfremden Blutes“, so die nationalsozialistische Erläuterung der Strom-Metapher von 1935. Ein völkisches Deutschland versteht sich als „politische Schicksalsgemeinschaft des Volkes, auf bestimmt umgrenztem Raum, zusammengefasst in arteigener staatlicher Ordnung, geeint durch das Band des gemeinsamen Blutes, gemeinsam erlebter Geschichte und gemeinsamer Kultur“. Jeder einzelne Bestandteil dieser Bestimmung entwirft das genaue Gegenteil unserer demokratischen Bundesrepublik Deutschland, wie sie von unserem Grundgesetz geschaffen wurde.

Der Begriff „Zustrombegrenzungsgesetz“ beziehungsweise sein geistiges wie politisches Konzept hat in einem demokratischen Diskurs über die dringenden Fragen der Migration nichts verloren.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, online am 24. Februar 2025 um 12:41 Uhr